Tagung „Kritische Psychologie, Psychotherapie und emanzipatorische Praxis“ – 3. bis 5. November 2023 an der Uni Köln (Seminargebäude)

Veranstalter:innen: Arbeitskreis Kritische Psychotherapie
Netzwerk Kritische Psychotherapie Köln/Bonn
Kooperationspartner:innen: Studierendenvertretung der Humanwissenschaftlichen Fakultät Köln,
Gesellschaft für subjektwissenschaftliche Forschung und Praxis
GsFP
Unterstützer:in: Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW

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Das Programm

Hinweis: Die Auftaktveranstaltung am Freitag ab 17 Uhr ist offen für alle! Sie findet im Hörsaalgebäude 105, Universitätsstraße 35, 50931 Köln, statt – rot markiert im Lageplan. Die beiden Vorträge der Auftaktveranstaltung werden außerdem per Live-Stream übertragen (Meeting-ID: 815 3488 5990, Kenncode: 885233).

Freitag, 03.11.2023

17:00

Begrüßung: Team, Ziele, Entstehung, Ablauf, Orga

17:30

Auftaktpanel

Kritik der medizinisch-biologistischen Ätiologie und die gesellschaftliche Genese der Erschöpfung (Julian Dicks)

Kritische Psychologie im Konflikt mit psychotherapeutischen Konzeptionen (Boris Friele)

18:30

Pause

19:30

Podiumsaustausch

20:00

Arbeitsgruppen-Diskussion

20:45

Impulse aus den Arbeitsgruppen ins Plenum

21:00

Ende

Samstag, 04.11.2023

10:00

11:30

Zum emanzipatorischen Potential der spirituellen Wende in der Psychotherapie (Marcus Beisswanger) Workshop

Emanzipatorische Potenziale Systemischer Therapien (Yolanda Wunderlich) Vortrag

11:45

13:15

Verhaltenstherapie zwischen Kontrolle, Kompensation und Emanzipation (Leonie Knebel) Workshop

Kollektive Selbstverständigung (KSV) – Mit Kritischer Psychologie über die Verhältnisse hinausdenken (Denis Neumüller & Lisa Reuter) Workshop

13:15

Pause

15:00

16:30

Ich hab‘ ein Recht auf mein Problem!“ – Kritik und Reinterpretation des lösungsfokussierten Denkens in der Psychotherapie (Erik Petter) Vortrag

Eine Therapie sozialer Probleme? Zur Praxis gesellschaftskritischer Psychotherapie am Beispiel arbeitsbezogenen Leidens (Sabine Flick, Ina Braune, Alexander Herold) Workshop

Thesen zu Kritischer Psychologie und  Psychoanalyse (Michael Zander) Vortrag

16:45

18:15

Kann machtsensibles und gesellschaftskritisches Handeln in der Psychotherapie gelingen? (Ann Roth & Erik Petter) Workshop

Queerness und Psychotherapie (Olga Spanakis) Workshop

Die Rolle der Subjektivität in Kritischer Psychologie und Psychotherapie (Peter Brook) Vortrag

18:15

Vernetzungstreffen: Verbinden, Austauschen, Ortsgruppen gründen

Sonntag, 05.11.2023

10:00

11:30

Das (un-)sichtbare Dritte – Psychotherapie, (Sozial-)Psychiatrie und what else? (Christian Küpper) Workshop

Kulturelle Bildung – Kritik – Emanzipation? (Luca Hermsen) Vortrag (fällt leider aus)

11:45

13:15

Das Aktivistische Sofa (DAS) (Svenja Patzack & Stefan Meretz) Workshop

Solidarische Gesundheitskollektive – Polikliniksyndikat (Lisa Reuter) Workshop

13:15

14:00

Abschlussplenum und Farewell

Abstracts

Freitag

Kritik der medizinisch-biologistischen Ätiologie und die gesellschaftliche Genese der Erschöpfung

Julian Dicks (Vortrag, Freitag: 17:30–18:00)

Der Beitrag hinterfragt die unzureichende Berücksichtigung sozialer Phänomene in der psychologischen Ätiologieforschung und das dominante medizinische Krankheitsverständnis. Das in diesem liegende reduktionistisch-biologistische Menschenbild bildet keine angemessene Basis für die Erfassung und Behandlung von psychischen Störungen im Allgemeinen und Erschöpfungszuständen im Speziellen.

Anhand einer Untersuchung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse und aktuell wirksamer Subjektivierungsprozesse wird demgegenüber die soziale Ebene des biopsychosozialen Modells betrachtet und durch eine materialistische sowie poststrukturalistische Kritik erweitert. Mit diesem Werkzeug wird die gesellschaftliche Genese von Erschöpfungsphänomenen analysiert. Die im Warencharakter liegende Entfremdung und die neoliberalen Ökonomisierungsprozesse sind demnach die soziale Ursache der Erschöpfung.

Des Weiteren wird die Verdinglichung des psychischen Leidens in der Psychotherapie kritisiert, welche durch unkritische Bezugnahme auf die Psyche, die Rolle der Psychotherapie in der kapitalistischen Gesellschaft und die individualisierende Praxis der Therapie stattfindet. Die Psychotherapie hält damit paradoxerweise die gesellschaftlichen Bedingungen des psychischen Leidens aufrecht.

Es wird ein gesellschaftskritischer subjektwissenschaftlicher Ansatz vorgeschlagen, um die gesellschaftlichen Bedingungen des psychischen Leidens zu erfassen und zu bearbeiten. Der Autor plant qualitative Interviews mit Psychotherapeut:innen, um alternative Ansätze zur Veränderung der verdinglichungsfördernden Praxis der Psychotherapie zu erforschen.

Kritische Psychologie im Konflikt mit psychotherapeutischen Konzeptionen

Boris Friele (Vortrag, Freitag: 18:00 – 18:30 Uhr)

Das Verhältnis der Kritischen Psychologie zu einer Konzeption von Psychotherapie ist ambivalent. Dies kann auf Spannungen in der begrifflichen Architektur des theoretischen Entwurfs von Holzkamp (1983) zurückgeführt werden. Dort wird einerseits auf der gesamtgesellschaftlichen Vermitteltheit der individuellen Daseinsgewinnung abgehoben. Andererseits werden ganz im Sinne einer Individual- und Handlungswissenschaft (Begründungsdiskurs) individuelle Problemsituationen zum Ausgangspunkt von Prämissen-Gründe-Analysen gemacht, um unausgeschöpfte Handlungsmöglichkeiten – darunter Lernhandlungen – offenzulegen.

Dieses Spannungsverhältnis wurde in einer frühen Phase der Theorieentwicklung zur Seite der auf der gesamtgesellschaftlichen Vermitteltheit psychischen Leids abhebenden Problemanalyse hin aufgelöst und hat sich geradlinig in konzeptionellen Überlegungen zu therapeutischen Überlegungen mit politisierender Stoßrichtung niedergeschlagen (Osterkamp 1978). Anstatt diesbezüglich subjektwissenschaftliche Kategorien zur Fassung der Ontogenese auf ihr psychotherapeutisches Potenzial hin zu untersuchen (Friele 2022), soll die Möglichkeit psychotherapeutischer Konzepte im Rahmen der Kritischen Psychologie im Lichte deren zentralen Begriffspaars „restriktive vs. verallgemeinerte Handlungsfähigkeit“ und dem damit verbundenen subjektwissenschaftlichen Konzept des dynamischen Unbewussten (siehe Markard 2009, Kap. 11) diskutiert werden .

Bilanzierend wird für eine orthodoxe, anti-therapeutische Lesart der Kritischen Psychologie plädiert.

Literatur

Friele, B. (2022). Bieten die Kategorien der Kritischen Psychologie Anknüpfungspunkte für die Entwicklung psychotherapeutische Konzepte? Forum Kritische Psychologie – Neue Folge, 4, S. 38-52.

Holzkamp, K. (1983). Grundlegung der Psychologie. Campus: Frankfurt/M.

Markard, M. (2009). Einführung in die Kritische Psychologie. Hamburg: Argument.

Osterkamp, U. (1978). Erkenntnis, Emotionalität, Handlungsfähigkeit. Forum Kritische Psychologie, 3, S. 13-90.

Samstag

Zum emanzipatorischen Potential der spirituellen Wende in der Psychotherapie

Marcus Beisswanger (Workshop, Samstag: 10:00-11:30 Uhr)

Im medialen und wissenschaftlichen Diskurs wird die anhaltende Popularität von Achtsamkeit in der Psychotherapie und Selbsthilfe als „buddhistischer Geist des Kapitalismus“ (Wagner 2015) und als Psychotechnik für die neoliberale Selbstoptimierung kritisiert. Darüber hinaus wird Religion bei Marx als repressive Ideologie zur Reproduktion der gesellschaftlichen Verhältnisse grundsätzlich in Frage gestellt. Aus der psychoanalytischen Perspektive wiederum werden religiöse Vorstellungen insbesondere bei Freud als kollektive Neurose und illusionäre Projektion von menschlichen Bedürfnissen auf eine Gottesfigur tendenziell pathologisiert. Andererseits lässt sich in der Praxis mit Blick auf die spirituelle Wende in der Verhaltenstherapie feststellen, dass religiöse Bezüge und Praktiken für das Subjekt hilfreich sein können, um die individuelle Handlungsfähigkeit in der beschleunigten Gesellschaft durch Stress- und Kontingenzbewältigung aufrechtzuerhalten. Ausgehend von den genannten Positionen soll im Workshop diskutiert werden, welches emanzipatorische Potential diese säkularisierten Religionspraktiken in der Psychotherapie beinhalten könnten. Insbesondere eine reflexive Analyse der damit verbundenen Sehnsucht nach einer transzendierenden Erfahrung könnte dabei Hinweise geben, wie diese Hoffnung auch auf eine utopische Überschreitung der gesellschaftlichen Verhältnisse gerichtet werden kann.

Emanzipatorische Potenziale systemischer Therapien

Yolanda Wunderlich (Vortrag, Samstag: 10:00-11:30 Uhr)

In dem Vortrag soll es darum gehen, meine Masterarbeit bezüglich der emanzipatorischen Potenziale systemischer Therapien darzustellen. Basierend auf Interviews mit kritischen systemischen Psychotherapeut:innen wurde die Integration von emanzipatorischen Prinzipien in die systemische Therapie untersucht. Das Ziel bestand darin, diese Potenziale in ihrer Praxis zu erkunden und zu beschreiben. Die zentrale Fragestellung der Studie lautete also, ob die systemische Therapie Personen dabei unterstützen kann, Machtstrukturen wie gesellschaftliche und soziale Abhängigkeiten zu erkennen und sich von diesen Strukturen zu befreien, um ihre Lebensbedingungen zu verbessern. Dabei müsste von einer Handlungsfähigkeit ausgegangen werden, die Selbstwirksamkeit, soziale Gefüge sowie gesellschaftliche Strukturen gleichermaßen berücksichtigt und ins Verhältnis setzt.

Im Großen ist es also auch Anliegen dieser Arbeit die gesellschaftliche Funktion von Psychotherapie und die Rolle von Psychotherapeut:innen zu hinterfragen und zu beleuchten inwiefern der systemische Ansatz hier Besonderheiten aufweist. Weiterhin wurde untersucht, wie kritische systemische Therapeut:innen damit umgehen, einerseits das Subjekt bei der Emanzipation von gesellschaftlichen Normen zu unterstützen und andererseits unter Druck zu stehen, sich selbst sowie ihre Klient:innen an diese Normen anpassen zu müssen. Deswegen sollen aus der Arbeit auch handlungsorientierende Empfehlungen für systemische Psychotherapeut:innen abgeleitet werden, die ihre Praxis in Richtung einer größeren Emanzipation gestalten möchten.

Verhaltenstherapie zwischen Kontrolle, Kompensation und Emanzipation

Leonie Knebel (Workshop, Samstag: 11:45-13:15 Uhr)

Die Verhaltenstherapie (VT) gilt als ein Kontrollinstrument, um Menschen an gegebene Bedingungen anzupassen oder sie für fremdgesetzte Zwecke zu manipulieren.

Die verhaltenstherapeutische Praxis kann trotzdem eine emanzipatorische Funktion haben, insbesondere wenn sie individuelle Fallkonzeptionen für sozial vermittelte Probleme gegenüber standardisierten Symptombehandlungen präferiert, neue Praxisansätze nicht nur auf ihre Wirksamkeit, sondern auch auf ihre gesellschaftliche Funktion befragt und sowohl Machtreduktion in der therapeutischen Beziehung als auch Empowerment außerhalb des Therapieraums fördert. Wie das konkret aussehen kann, soll anhand von Erfahrungen der Teilnehmenden und einem Praxisbeispiel veranschaulicht und diskutiert werden.

Für eine emanzipatorisch-intendierte VT braucht nicht es nur eine kritische Handlungstheorie, sondern auch gesellschaftliche Rahmenbedingungen wie öffentliche, multiprofessionelle Versorgungszentren mit Expert:innen für die Lebenslagen der Betroffenen.

Zur Vorbereitung kann folgender Text (S. 23ff) gelesen werden: https://gbp.vdaeae.de/images/GbP_22_3-Psychische_Erkrankungen.pdf

Kollektive Selbstverständigung (KSV) – Mit Kritischer Psychologie über die Verhältnisse hinausdenken

Denis Neumüller & Lisa Reuter (Workshop, Samstag: 11:45-13:15 Uhr)

Kollektive Selbstverständigung (KSV) ist eine emanzipatorisch intendierte Kleingruppenpraxis zur Reflexion der eigenen Lebensführung. Sie entstand – ausgehend von Seminaren zur Kritischen Psychologie – in einer jährlich selbstorganisierten Seminarreihe mit dem übergreifenden Thema „Lebensführung und Emanzipation“. Ausgehend von subjektiven Lebensproblematiken geht es bei KSV darum, das widersprüchliche Verhältnis von Anpassung und Emanzipation im eigenen Fühlen, Denken, Handeln durch die Fragen, Rückmeldungen und Erfahrungen der Anderen besser zu durchschauen. Die Vielfalt der Erfahrungen und Perspektiven vor dem Hintergrund einer gemeinsamen Gesellschaftsanalyse versuchen die Teilnehmenden einer KSV für die Veränderung von Alltagspraktiken in Richtung einer herrschaftsfreien Gesellschaft zu nutzen. Das theoretische Wissen, dass für die KSV leitend war und ist, gründet sich in den Kategorien der Kritischen Psychologie nach Holzkamp, in einer bestimmten neomarxistischen Kapitalismuskritik, einem präfigurativen Transformationsverständnis sowie einer Utopietheorie, die den Begriff des Commoning ins Zentrum rückt.

KSV wird seit einigen Jahren von einem Netzwerk von Interessierten im Rahmen lokaler Gruppen, Workshops und selbstorganisierten Seminaren erprobt und weiterentwickelt. Im Workshop möchten wir über unsere praktischen Erfahrungen mit KSV sprechen, über methodische Überlegungen und Probleme diskutieren sowie den Stand unserer Überlegungen über KSV darstellen. Gemeinsam wollen wir mit euch über Möglichkeiten und Grenzen solch emanzipatorisch intendierter Praktiken der Reflexion diskutieren.

„Ich hab‘ ein Recht auf mein Problem!“ – Kritik und Reinterpretation des lösungsfokussierten Denkens in der Psychotherapie

Erik Petter (Vortrag, Samstag: 15:00-16:30 Uhr)

(Nicht nur) innerhalb des systemischen Ansatzes hat sich lösungsorientiertes Denken zu einem zentralen Prinzip vieler Praktiker*innen aus der Psychotherapie entwickelt. Eher pragmatisches Erarbeiten von Lösungen bekommt auf diese Weise Vorrang vor der Analyse des Problemzusammenhanges einer Klient*in. In dem Vortrag wird der Referent sowohl eigene Erfahrungen als Supervisand in lösungsfokussiert orientierten Supervisionen als auch lösungsfokussierte Konzepte von Steve de Shazer und Gunther Schmidt auf der Grundlage der Kritischen Psychologie betrachten. Dabei kommt er zu der Auffassung, dass lösungsorientiertes Vorgehen eine Kritik an den einer individuellen Problematik zu Grunde liegenden Verhältnissen erschwert und die leidenden Subjekte deswegen tendenziell zu einer Anpassung an diese ermutigt. Er wird aber umgekehrt auch deutlich machen, an welchen Stellen seiner Meinung nach für die Kritischen Psychologie der Bedarf besteht, ihre Konzepte schärfer zu fassen, um sich mit dem lösungsorientierten Ansatz angemessen auseinander setzen zu können. Abschließend soll die Frage thematisiert werden, inwieweit ein Zusammendenken von Lösungsfokussierung und Gesellschaftskritik möglich sein könnte und welche therapeutischen Vorgehensweisen sich so möglicherweise für eine zu entwickelnde Kritische Psychotherapie ergeben könnten.

Eine Therapie sozialer Probleme? Zur Praxis gesellschaftskritischer Psychotherapie am Beispiel arbeitsbezogenen Leidens

Sabine Flick, Ina Braune, Alexander Herold (Workshop, Samstag: 15:00-16:30 Uhr)

Psychotherapie hat sich in der Gegenwart zu einer der zentralen Sprachen entwickelt, mit Hilfe derer sich die Individuen selbst verstehen, interpretieren und auslegen. Allen psychotherapeutischen Ansätzen ist dabei ein am Subjekt orientierter Zugang gemein, der sie zugleich zum methodischen Individualismus verdammt. Sie müssen zunächst an den persönlichen Leidenserfahrungen der Einzelnen ansetzen. Dabei geraten gesellschaftliche Verhältnisse häufig aus dem Blick. Die Soziale Amnesie zeigt sich insbesondere beim Leiden an der Arbeit.

Im Workshop werden wir uns anschauen, auf welche Weise existente Ansätze dabei mit dem Problem umgangen sind, an den Subjekten strukturelle Probleme (mit)behandeln zu müssen. Die Ansätze wollen wir jeweils darauf befragen, was ihre jeweiligen Ziele in der Behandlung arbeitsbezogener Leiden sind, auf welcher normativen Grundlage sie arbeiten und welche Praxis sie vorschlagen.

Dabei werden wir auch die Bedeutung von Ungleichheitskategorien wie Geschlecht und Klasse in den Blick nehmen. Zugleich wollen wir uns im Austausch mit den Teilnehmenden der Frage annähern, wie eine Psychotherapie aussähe, die individuelle Handlungsfähigkeit erweitert und kollektive Bewältigungsformen stärkt und ermöglicht.

Thesen zu Kritischer Psychologie und Psychoanalyse

Michael Zander (Vortrag, Samstag: 15:00-16:30 Uhr)

Von der Psychoanalyse hat die Kritische Psychologie v.a. die Lehre von der dynamischen Abwehr übernommen, dabei aber hervorgehoben, dass nicht (nur) die eigenen Wünsche („Triebimpulse“) abgewehrt werden, sondern (v.a.) das Kleinbeigeben gegenüber der drohenden Sanktion durch mächtigere Akteure. Vergesellschaftung wird als Erweiterung von Handlungs- und Teilhabemöglichkeiten konzipiert, eine Erweiterung, die auch behindert werden kann, z.B. im Kontext von gesellschaftlicher Unterdrückung, die bei Freud eher Randbedingung bleibt. Gleichzeitig wurden wichtige Themen und Konzepte der Kritischen Psychologie eher vernachlässigt, z.B. die Analyse von Träumen, Übertragungen oder neurotischen Symptomen. Die Thesen befassen sich mit der Frage, wie Einsichten der Kritischen Psychologie und der Psychoanalyse miteinander vermittelt und wissenschaftlich weiter fundiert werden könnten.

Kann machtsensibles und gesellschaftskritisches Handeln in der Psychotherapie gelingen?

Ann Roth & Erik Petter (Workshop, Samstag: 16:45-18:15 Uhr)

In diesem Praxisworkshop wollen wir der Frage nachgehen, ob und ggf. wie durch Einbeziehung von gesellschaftskritischen Überlegungen in Psychotherapien die Reproduktion von Herrschaft verringert werden kann. Auf diese Weise könnte der Therapieraum u. E. hilfreicher für die Klient:innen gestalten werden. Wir kommen aus unterschiedlichen therapeutischen Denkrichtungen (Personenzentrierte und Tiefenpsychologische Psychotherapie) und werden für uns zentrale Fragen und hilfreiche Herangehensweisen kurz skizzieren (wie z.B. Ansätze aus der Soziale Psychoanalyse nach Layton). Es gibt von unserer Seite Praxisbeispiele zum gemeinsamen Weiterdenken, wir laden aber sehr herzlich dazu ein, eigene Beispiele/Fragen aus der Unterstützungsarbeit oder aus therapeutischen Kontexten einzubringen.

Anhand der Beispiele wollen wir (möglichst gemeinsam und nahe am therapeutischen Geschehen) den folgenden Fragestellungen nachgehen:

  • Inwieweit könnten/sollten für die Problematik der Klient:innen bedeutsame strukturelle Herrschaftsverhältnisse thematisiert werden?
  • Inwieweit könnten/sollten die jeweiligen gesellschaftlichen Positionierungen innerhalb der therapeutischen Beziehung, insbesondere das Machtgefälle, thematisiert werden?
  • Lassen sich die so erarbeiteten Erkenntnisse verallgemeinern und können hierzu Konzepte der Kritischen Psychologie hilfreich sein?

Wir freuen uns auf einen regen Austausch!

Queerness und Psychotherapie

Olga Spanakis (Workshop, Samstag: 16:45-18:15 Uhr)

Das Konzept der Heteronormativität und der Heterosexualität wurde von Butler aber auch frühere Feministinnen kritisch betrachtet. Sie hat über eine ‚Performativität‘ des Geschlechts gesprochen, das sich durch wiederholende Handlungen manifestiert. Das binäre Geschlecht-Mann und Frau- ist ein soziales Konstrukt, das Heterosexualität als was Natürliches, und Homosexualität als eine Abweichung von der Norm der Gesellschaft betrachtet. Dadurch, wurde der Term ‚Queer‘ eingeführt, als einen Weg das binäre System zu hinterfragen und Aspekte wie die Rasse, die Religion und Klasse als Faktoren, bei der Erfahrung der Sexualität miteinzubeziehen. Aus der Perspektive der kritischen Psychologie, der Mensch verkörpert gleichzeitig das Produkt und Produzent seiner Umwelt und ist nicht nur auf eine organismische Ebene zu betrachten. Nach Holzkamp, sollte immer die spezifische historische Situation des Individuums als Teil der Forschung in Betracht kommen, wo die Herrschaftsverhältnissen hinterfragt werden müssen. Männlichkeit wird als hegemonial und aktiv im Vergleich zu Weiblichkeit, die als nachrangig betrachtet wird. In der therapeutischen Praxis können die oben genannten theoretischen Grundlagen Anwendung finden, indem es bestimmte Vorstellungen gibt, worauf sich Männlichkeit und Weiblichkeit bezieht: bestimmte Störungsbilder sind eher als weiblich oder männlich charakterisiert, aber auch bestimmte Persönlichkeitsmerkmale oder Beziehungsformen liegen der Heteronormativität zugrunde und deswegen als auffällig bezeichnet. Therapeuten können auf diese Art und Weise bestimmte Vorstellungen haben im Bezug auf die Realitäten von ihren Patienten, wie z.B. im Bezug auf die Zuschreibungen bestimmten sozialen Rollen. Die Qualität der Gesundheitsfürsorge sollte sich daran orientieren, ein Freiraum zu bieten, wo Klienten in der Lage sind sich frei über ihre Sexualität auszudrücken. Die Aufklärung von Seiten des Therapeuten im Bezug auf geschlechtsspezifische und kulturelle Themen könnte zum Abbau von Diskriminierungen im Gesundheitssystem führen. Queer Theorie könnte Vorurteile abbauen, die Assoziationen zwischen bestimmten psychischen Störungen und sexuelle Orientierungen verstärken, aber auch den Einfluss einer individualistischen Mentalität, die soziokulturellen Faktoren für die Entstehung bestimmten Störungen vernachlässigt.

Die Rolle der Subjektivität in Kritischer Psychologie und Psychotherapie

Peter Brook (Workshop, Samstag: 16:45-18:15 Uhr)

Kolleg*innen, die während ihres Studiums begeistert die Kritische Psychologie (KP) kennenlernen, erleben oft Enttäuschung, wenn sie versuchen, ihre therapeutische Arbeit mithilfe der KP emanzipatorisch weiterzuentwickeln. Obwohl die KP die gesellschaftskritische Reflexion der eigenen Praxis fördert, lässt sich daraus nicht ableiten, wie man therapeutisch arbeiten kann. Therapeutische Verfahren in der KP wurden bis auf wenige Ausnahmen meist nur theoretisch behandelt, was Therapeut*innen vor die Herausforderung stellt, Praxislücken zu füllen. Deshalb suchen Kolleg*innen in psychotherapeutischen Verfahren und anderen kritisch-psychologischen Ansätzen nach Lösungen. Dabei übernehmen sie jedoch oft Annahmen aus therapeutischen Verfahren, die nicht mit den marxistischen Grundlagen der KP vereinbar sind. Mein Beitrag präsentiert alternative Sichtweisen auf das therapeutische Praxisproblem und lädt zur Diskussion ein. Ich stelle dazu aus dem Arbeitszusammenhang der Kulturhistorischen Schule spezifische Aspekte der Subjektivitätstheorie vor, in der es eine umfangreiche Auseinandersetzung mit psychotherapeutischer Praxis gab, und verbinde sie mit Argumenten aus der KP. Auf dieser Grundlage würde ich gerne gemeinsam diskutieren, inwiefern der Fokus auf subjektive (Bedeutungs)produktion eine Alternative zum interpretativ-rekonstruktiven Paradigma darstellt und ob dies vielversprechende Wege für die emanzipatorische Weiterentwicklung der therapeutischen Praxis in der KP eröffnen könnte.

Sonntag

Das (un-)sichtbare Dritte – Psychotherapie, (Sozial-)Psychiatrie und what else?

Christian Küpper (Workshop, Sonntag: 10:00-11:30 Uhr)

Hegemoniale Vorstellungen über passende Hilfeformen für Menschen in psychischen Problemlagen umkreisen die Ausbuchstabierung psychotherapeutischer und (sozial-)psychiatrischer Settings. Diese Settings gründen auf spezifischen Überlegungen zu Entstehungsbedingungen und Verläufen dieser Problemlagen. Professionelle adressieren diese Problemlagen mit Behandlungsmethoden, zu deren Kenntnis sie ihre Berufsausbildungen qualifizieren. Doch diese Ausbildungen erweisen sich als brüchig, nähert man sich dem immanenten Gewaltproblem bestehender gesellschaftlicher Verhältnisse.

Am Beispiel der antipsychiatrisch orientierten Berliner Kriseneinrichtung Weglaufhaus „Villa Stöckle“ möchte ich gemeinsam mit Interessierten diskutieren, welche alternativen Möglichkeiten bestehen, emanzipatorisch intendiert Unterstützung und Begleitung für Menschen in Not zu organisieren, und welche Illusionen man vermeiden sollte. Zentrale Konzepte wie Betroffenen- und Nutzer_innenkontrolle sowie das zu Grunde gelegte Professionalitäts- und Problemverständnis sollen gemeinsam auf ihre Tauglichkeit geprüft und u.a. ins Verhältnis zu Ansätzen des Peer-Support (siehe bspw. EX-IN) und zu Soteria-Projekten gesetzt werden. Überlegungen der Kritischen Psychologie – verstanden als marxistische Subjektwissenschaft – helfen uns dabei, nicht die Orientierung zu verlieren.

Kulturelle Bildung – Kritik – Emanzipation?

Luca Hermsen (Vortrag, Sonntag: 10:00-11:30 Uhr)

Die Möglichkeiten kultureller Bildung in der Psychiatrie als kritische Praxis.

Sozialarbeiterische Praxis in der Psychiatrie verläuft zumeist unter dem Primat des ‚Ärztlichen Blicks‘ (Foucault). Somit macht sich Soziale Arbeit innerhalb der Psychiatrien Institutionen zum Handlanger medizinisch-psychotherapeutischer Verfahren der Normierung und Kontrolle. Der Anspruch sozialarbeiterischer Tätigkeit Anwalt der Klient*innen zu sein wird durch die Deutungshoheit eines Medizinischen Regimes unterwandert und negiert.

Der Vortrag versucht ausgehend von der Methode der kulturellen Bildung, welche das mündige Subjekt in den Vordergrund stellt, kritische Impulse abzuleiten um zum einen die Rolle der Sozialarbeiter*innen innerhalb des psychiatrisch-medizinischen komplexes zu hinterfragen und zum anderen den Adressat*innen des psychiatrischen Zugriffes Impulse zu vermitteln welche sie sich als mündige Subjekte begreifen lassen um sich dem Regime der Zurichtung und des Zwangs, zumindest teilweise, zu entziehen.

Das Aktivistische Sofa (DAS)

Svenja Patzack & Stefan Meretz (Workshop, Sonntag: 11:45-13:15 Uhr)

Wir haben DAS für Aktivist:innen aus dem emanzipatorischen Spektrum entwickelt. Wir begleiten Einzelne, Paare oder Gruppen bei der Reflexion der vorliegenden Problematiken, wobei uns der Einbezug der gesellschaftlichen (Herrschafts-)Verhältnisse, in denen sich die Problematiken entwickelten, wichtig ist. Im Workshop berichten wir von unseren Erfahrungen, von den Möglichkeiten und Grenzen emanzipatorisch intendierter Beratungstätigkeit. Als Frage bringen wir mit: Sind „Gespräche auf Augenhöhe“ (so unser Slogan) überhaupt möglich?

Solidarische Gesundheitskollektive – Polikliniksyndikat

Lisa Reuter (Workshop, Sonntag: 11:45-13:15 Uhr)

Unser Gesundheits- und Versorgungssystem wird zunehmend von marktwirtschaftlichen Prinzipien geprägt, wobei die Beteiligung und Mitbestimmung der Gesellschaft, insbesondere der unmittelbar betroffenen Bürger*innen, nur begrenzt vorgesehen ist. Dem setzen sich die Polikliniken entgegen, die aus gemeinnützigen Initiativen entstehen und eine Neugestaltung der Versorgung in Form von solidarischen, stadtteilbezogenen Primärversorgungszentren anstreben. Sie bauen auf integrierte Versorgungskonzepte auf und berücksichtigen die sozialen Determinanten von Gesundheit. Gesundheit hängt nicht nur vom individuellen Verhalten und körperlichen Zustand ab, sondern auch von den strukturellen gesellschaftlichen Wohn-, Arbeits- und Lebensbedingungen.

Die Polikliniken verstehen sich als politische Akteure und haben das Ziel, soziale Ungleichheit auf gesamtgesellschaftlicher Ebene zu verringern. Sie sind unter dem Dach des Polikliniksyndikats auf bundesweiter Ebene organisiert und streben perspektivisch eine europäische und globale Vernetzung an. Die Zentren werden basisdemokratisch selbstverwaltet, arbeiten solidarisch im Kollektiv und verfolgen keine profitorientierten Interessen. Die Teams sind multiprofessionell besetzt und umfassen Fachbereiche wie Medizin, Pflege, Prävention, Rehabilitation und psychosoziale Betreuung.

Bislang beziehen sich die Polikliniken nicht direkt auf die kritische Psychologie, teilen jedoch den Anspruch der Emanzipation. Wir können gemeinsam diskutieren, wie die Arbeit von kritischen Psychotherapeut*innen in solidarischen Stadtteilzentren aussehen kann und sollte.