Auf dieser Seite dokumentieren wir den juristisch ausgetragenen Konflikt um das folgende Buch:

M. Wendisch (2021, Hrsg.). Kritische Psychotherapie. Interdisziplinäre Analysen einer leidenden Gesellschaft. Bern: Hogrefe. 496 Seiten, 59.95€, ISBN: 9783456859897

Der Titel klang spannend, doch über viele Inhalte waren wir entsetzt. Wir entschlossen uns, das Buch eingehend zu analysieren. Wir kamen am Ende zum Schluss: Bei dem Buch handelt es sich in weiten Teilen um ein rechtsextremes Werk. Die ausführliche Analyse mit allen Zitaten, Quellen und Begründungen unserer Bewertung kann hier heruntergeladen werden: Analyse-einer-Kritik-von-Rechtsaussen.pdf

Unsere Einschätzung wird von einem Beitrag von Erik Petter gestützt. In der Zeitschrift „Gesprächspsychotherapie und Personzentrierte Beratung“ (Nr. 53-1, S. 44-48) erschien „Ein rechtsextremes Weltbild mit personzentrierten Elementen?“ (PDF).

Der Verlag hat das Buch vom Markt genommen und den Vertrag mit M. Wendisch gekündigt.


Dokumentation

Im folgenden veröffentlichen wir fünf PDF-Dokumente, zwei unseres Anwalts, das Urteil des Landgerichts und den zweifachen Beschluss des Oberlandesgerichts. Wir wollen damit zeigen: Es ist gut, sich nicht einschüchtern zu lassen! Bei rechtlichen Drohungen gilt: Ruhig bleiben und qualifizierte Hilfe suchen.

Die ersten zwei PDF-Dokumente enthalten die Vorwürfe des Wendisch-Anwalts als eingefügte Kommentare. Ihr könnt also Stück für Stück nachlesen, was uns vorgeworfen wurde und wie wir darauf reagierten. Darin erfahrt ihr weitere inhaltliche Gründe, warum unsere Einschätzung, es handele sich beim Wendisch-Buch um ein in weiten Teilen rechtsextremes Werk, inhaltlich begründet ist – über die Gründe hinaus, die wir schon in unserer 22-seitigen Analyse aufgeführt haben. Das dritte PDF-Dokument enthält das schriftliche Urteil des Landgerichts Freiburg. Wendisch und Anwalt haben daraufhin Berufung eingelegt. Das vierte und fünfte PDF-Dokument enthalten zwei Beschlüsse des OLG Karlsruhe/Freiburg, in denen es die Berufung zurückweist (ausführlich: siehe Chronologie unten).

  1. Zurückweisung der Abmahnung (06.04.2022)
  2. Zurückweisung des Antrags auf einstweilige Verfügung (19.04.2022)
  3. Urteil des Landgerichts Freiburg (23.06.2022)
  4. Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe, 14. Zivilsenat Freiburg (13.01.2023)
  5. Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe, 14. Zivilsenat Freiburg (16.02.2023)

Chronologie – die neuen Ereignisse stehen oben

21.03.2024: Blueprint for Free Speech berichtet über das Verfahren

Blueprint for Free Speech ist eine zivilgesellschaftliche Organisation, die Recherchen und Analysen zur Unterstützung der freien Meinungsäußerung für alle Menschen im Sinne der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zur Verfügung stellt. In dem Artikel „Rechtliches Vorgehen gegen Netzwerk Kritische Psychotherapie“ hat sie über das Verfahren berichtet und uns ihre Unterstützung zugesichert.

14.03.2024: Wendisch zieht im Hauptverfahren vor das Landgericht Frankfurt/Main

M. Wendisch prozessiert weiter gegen uns. Auch drei Urteile für die Meinungsfreiheit halten ihn nicht vom Versuch ab, unsere Meinung zu canceln. Welche Meinung? – Dass es sich bei seinem Buch um ein in weiten Teilen rechtsextremes Werk handelt. Das ergibt sich für uns aus einer ausführlichen Analyse, die wir erstellt haben. Hier die neuen Dokumente:
►Klage von M. Wendisch vor dem LG Frankfurt/Main (PDF)
►Abweisung der Klage durch unseren Anwalt (PDF)
Termin der Verhandlung vor dem Landgericht Frankfurt am Main war am 14.3.24. Die Richter:innen wollten einen Vergleich: Wir hätten doch Erfolg mit unserer Kritik gehabt, denn das von uns kritisierte Buch sei nun nicht mehr verfügbar, weil der Verlag es vom Markt genommen habe (was gar nicht unser Ziel war); andererseits solle der Kläger nun auch mal Ruhe vor Kritik haben, weswegen wir die 22-seitige Kritik von der Website nehmen sollten (noch ist sie verfügbar!). Ferner solle der Kläger alle Kosten tragen. Bis zum 10.5.24 können beide Seiten dem Vergleich widersprechen. Wenn eine Seite widerspricht, gibt es ein Urteil, mutmaßlich in unserem Sinne, also der Meinungsfreiheit. Für diesen Fall hat die Klageseite angekündigt, vor das Oberlandesgericht zu ziehen, es ginge also weiter. Ob wir als Netzwerk Kritische Psychotherapie Köln/Bonn den Vergleich annehmen oder ablehnen wollen, werden wir sorgfältig diskutieren und dann gemeinsam entscheiden. Es ist also kompliziert und bleibt spannend. – Schreibt uns gerne eure Meinung!

29.02.2024: Jungle World berichtet über das Verfahren

Die Wochenzeitung Jungle World schreibt in ihrem Artikel „Kritik vor Gericht“: „Die Dialektik von Subjekt und Gesellschaft läuft gerade in Bezug auf psychische Erkrankungen ständig Gefahr, einseitig aufgelöst zu werden. Dann wird etwa über die Gesellschaft gesprochen, als sei sie ein kranker Mensch. (…) Auf der anderen Seite werden psychische Erkrankungen umstandslos aus den – oftmals unverstandenen – gesellschaftlichen Verhältnissen hergeleitet. Diese regressiven Denkformen öffentlich benennen zu dürfen, ist notwendig für eine kritische Psychotherapie und offensichtlich im Sinne der Wissenschaftsfreiheit.“

22.02.2024: Kritik ist nicht gleich Kritik

In einem Vortrag wird eine begriffliche Unterscheidung von regressiver und progressiver Kritik vorgenommen. Als Beispiel regressiver Kritik wird der „Fall Wendisch“ vorgestellt. Als Herausgeber eines Sammelbandes hat M. Wendisch ein Konglomerat aus Verschwörungserzählungen, rechtsradikalen Ideologiebausteinen, antifeministischen Tiraden und strukturell antisemitischen Argumentationsmustern als „Kritik“ ausgegeben. Unsere Kritik-Kritik, also unsere Zerlegung, Entschleierung und Bewertung des regressiven Konglomerats wiederum versucht der Herausgeber in einer Serie von Gerichtsverfahren (bisher erfolglos) zu unterdrücken.

16.02.2023: OLG weist Wendisch-Einspruch zurück

Das OLG Karlsruhe hat die Zurückweisung der Berufung (vgl. 13.01.2023) bestätigt – wiederum sehr klar: „Die Erfolglosigkeit der Berufung ist offensichtlich“. Zu den drei Punkten (vgl. 03.02.2023) stellt das Gericht klar: (1) Es sei unerheblich, warum der Verlag das Buch vom Markt genommen hat, zur Debatte stünde allein die Frage, ob es sich bei unserer Kritik um „Schmähkritik“ gehandelt habe, was aber nicht gegeben sei, da ein „Sachbezug“ unserer Bewertungen klar erkennbar sei; (2) als „Teilnehmer der öffentlichen Diskussion“, in die sich Wendisch mit dem Buch begeben habe, müsse er „auch scharfe Reaktionen hinnehmen“; (3) es sei nicht Sache des Gerichts zu prüfen „ob die geäußerte Meinung gerechtfertigt“ sei.

Der Versuch von M. Wendisch, eine sachlich fundierte Kritik als falsche Tatsachenbehauptung und Schmähkritik darzustellen, ist gescheitert.

03.02.2023: Wendisch gibt keine Ruhe

Der Anwalt von Martin Wendisch widerspricht dem Beschluss des OLG Karlsruhe vom 13.01.2023, mit dem das Gericht die Berufung abgewiesen hatte. Der Anwalt versucht den Spieß umzudrehen: (1) Die Meinungsfreiheit des Klägers (Wendisch) sei durch die Markt-Rücknahme des Buches durch den Verlag „im Kern betroffen“, die nur aufgrund einer Kampagne einer „aus der Anonymität des Internets heraus agierende linksextremistische Gruppierung“ (damit sind wir gemeint) zustande gekommen sei; (2) Menschen könnten durch die Berichterstattung über den Prozess hier auf dieser Seite abgeschreckt sein, in die psychotherapeutische Praxis von M. Wendisch zu kommen; (3) das Gericht habe nicht inhaltlich geprüft, ob die in unserer Analyse geäußerte Bewertung zutreffend sei (was LG und OLG stets ablehnten). – Schauen wir, was das OLG sagt.

13.01.2023: Das Oberlandesgericht bestätigt das Urteils des Landgerichts

Auch der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe hat schriftlich die Berufung von Wendisch abgewiesen und das Urteil des Landgerichts Freiburg bestätigt – und zwar glasklar: „Die Berufung ist nach der einstimmigen Auffassung des Senats offensichtlich unbegründet. … Das Landgericht [also die Vorinstanz] hat zu Recht sämtliche angegriffenen Textstellen als Meinungsäußerungen angesehen (…) Die Äußerungen erfüllen auch nicht annähernd die Anforderungen, die an das Vorliegen einer Schmähkritik gestellt werden“. Und finally: „Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist nicht geboten. Es wird empfohlen, die Rücknahme der Berufung zu erwägen; in diesem Fall reduzieren sich die Gerichtskosten für das Berufungsverfahren auf die Hälfte.“ Jetzt warten wir noch, ob Wendisch zurücksteckt oder sich das Gleiche noch mal in live anhören will. Für uns ist die Sache so gut wie durch!

12.08.2022: Die Wendisch-Begründung geht ein

Der Anwalt von Martin Wendisch nimmt einen neuen Anlauf und versucht, die Berufung beim Oberlandesgericht Karlsruhe (Außenstelle Freiburg) zu begründen. Erneut soll uns eine öffentliche Äußerung unserer Meinung verboten werden – bei Androhung von 250.000€ Strafe oder 6 Monaten Haft. Also im Grunde das Gleiche wie am 11.04.2022 (siehe unten). Nur die Begründung hat sich verschoben. Zwar werden nun drei von vier Punkten als Meinungsäußerung akzeptiert (der vierte wird weiterhin als falsche Tatsachenbehauptung angegriffen), doch stattdessen wird eine Schmähkritik der Person Wendisch behauptet, weswegen die Meinungsäußerung dennoch verboten werden solle. Wer will, lese unsere Analyse und bewerte selbst, ob wir die Person Wendisch herabsetzen (=Schmähkritik) oder die von ihm im Buch getätigten Aussagen kritisieren. Das wird auch das OLG einzuschätzen haben.

12.08.2022: Soli-Party im AZ Köln – ausgefallen!

Wir feiern unseren Erfolg vor dem Landgericht Freiburg – und rüsten uns für eine weitere Runde beim Oberlandesgericht. Das Verfahren kostet viel Geld, doch wir werden uns weder politisch einschüchtern noch ökonomisch erpressen lassen. Am 12. August haben wir daher eine Soli-Party zur Finanzierung unserer Prozesskosten organisiert. Sie findet ab 20 Uhr im Autonomen Zentrum Köln, Luxemburger Str. 93, 50939 Köln, statt. Hier das großartige Line-up. Kommt zahlreich und feiert mit uns! — Musste u.a. wegen Corona leider ausfallen, wird aber nachgeholt!

18.07.2022: Wendisch legt Berufung ein 🙁

Zunächst noch ohne Begründung legt Wendisch über seinen Anwalt Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Freiburg ein.

23.06.2022: Das schriftliche Urteil ergeht – Klage abgewiesen

Nun liegt das schriftliche Urteil vor. Auf 18 Seiten bestätigt das Landgericht, was es bereits am 30.05.2022 bei der mündlichen Verhandlung ausführte: „Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen“. Ausführlich legt das Gericht dar, dass alle Äußerungen von uns durch die Meinungsfreiheit gedeckt sind. Deutliche Aussage: „Der Verfügungskläger kann insoweit nicht für sich in Anspruch nehmen, mit gegebenenfalls streitbaren Aussagen an die Fachöffentlichkeit zu treten, widerstreitende Aussagen, die sich – ohne Schmähung zu sein – ersichtlich noch im Rahmen des Fachdiskurses bewegen, jedoch gerichtlich untersagen zu lassen“. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, eine Anfechtung ist möglich. Eine neue Runde vor dem Oberlandesgericht kann noch folgen – wir werden sehen.

30.05.2022: Wendisch-Klage zurückgewiesen

Alle vier Punkte des Antrags auf einstweilige Verfügung (nicht mehr zu behaupten sei: der Herausgeber habe ein in weiten Zügen rechtsextremes Weltbild, verfolge eine rechtsextreme Ideologie, verwende antisemitische Argumentationen und habe den anderen Autor:innen den inhaltlichen Kontext nicht offengelegt) wurden vom Landgericht Freiburg als Meinungsäußerung gewertet und somit zurückgewiesen – zunächst mündlich. Auf eine Rücknahme seines Antrags wollte sich Wendisch dennoch nicht einlassen. So wird das Gericht am 23.6.22 das Urteil verkünden. Ein Erfolg für die Meinungsfreiheit!

04.05.2022: Spendenkonto eingerichtet

Streit vor Gericht ist teuer. Doch die Meinungsfreiheit will verteidigt werden. Um die rechtliche Auseinandersetzung finanziell solidarisch tragen zu können, haben wir ein Spendenkonto eingerichtet. Bitte überweist eure Spenden unter Angabe des u.g. Verwendungszwecks (wichtig!) auf das folgende Konto der GLS-Bank:

Empfänger: Kritische Psychotherapie Köln/Bonn
IBAN: DE48430609677918887700
BIC: GENODEM1GLS
Verwendungszweck: ELINORNFWT48

21.04.2022: Amtsgericht verweist ans Landgericht

Das Amtsgericht Freiburg erklärt sich für sachlich unzuständig und verweist den Fall ans Landgericht Freiburg. Einen neuen Termin gibt es noch nicht. Der Termin ist nun auf dem 30.5.2022, 14 Uhr, im Sitzungssaal 5 des Justizgebäudes, 1. OG, Salzstraße 28, 79098 Freiburg, festgelegt worden.

11.04.2022: Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung

Die Kritik soll aus dem Netz verschwinden. Das Amtsgericht Freiburg solle uns sofort und ohne Verhandlung dazu verurteilen, bei Androhung von 250 Tausend Euro Strafe bzw. 6 Monaten Haft, vier Dinge nicht mehr zu behaupten: der Herausgeber habe ein in weiten Zügen rechtsextremes Weltbild, verfolge eine rechtsextreme Ideologie, verwende antisemitische Argumentationen und habe den anderen Autor:innen nicht offengelegt, in welchem Kontext sie ihre Beiträge leisteten. Das Amtsgericht folgt dem Antrag nicht und lädt zu einer Verhandlung am 22.4.22. Wir weisen alle vier Punkte über unseren Anwalt zurück: Alles ist belegbar und durch die freie Meinungsäußerung gedeckt. Interessant: Es sind nur noch vier Punkte.

06.04.2022: Eine weitere Kritik

Inzwischen ist eine weitere kritische Rezension erschienen, auf die wir hinweisen wollen. Sie wurde von Erik Petter verfasst und ist unter dem Titel „Ein rechtsextremes Weltbild mit personzentrierten Elementen?“ in der Zeitschrift „Gesprächspsychotherapie und Personzentrierte Beratung“ (Nr. 53-1, S. 44-48) erschienen. Hier das PDF als Download.

06.04.2022: Reaktionen und Meinungen

Unsere Veröffentlichung der Analyse (PDF) des Buches „Kritische Psychotherapie“ von Martin Wendisch rief verschiedene Reaktionen hervor.

Wir erhielten Rückmeldungen von Leser:innen, die sich erleichtert zeigen, dass sie ihr Unwohlsein mit dem Buch nicht getäuscht hat. Viele schrieben uns, dass sie sich zunächst vom Titel des Buches angetan, jedoch dann enttäuscht über die Inhalte waren und schließlich durch unsere Analyse Bestätigung in ihrem Eindruck fanden, dass das Buch unter einem Deckmantel kritisch-wissenschaftlicher Betrachtung rechtes Gedankengut verbreitet. 

Einige Autor:innen des Buches haben uns gegenüber geäußert, dass ihnen nicht klar war, in welchen Kontext der Herausgeber ihre Beiträge setzen würde. Sie zeigten sich beunruhigt und waren zum Teil entsetzt, als sie das Ergebnis in den Händen hielten. Auch habe der Herausgeber Wendisch sich ihnen gegenüber unkooperativ und unfreundlich gezeigt, als sie versuchten zu Klärungen zu kommen.

Und auch uns gegenüber hat sich Herr Wendisch nicht gerade freundlich verhalten. Anstatt sich mit unseren Argumenten und Kritik am Buch inhaltlich auseinanderzusetzen, hat er uns über einen Anwalt eine Abmahnung geschickt: Wir würden unwahre Behauptungen über Herrn Wendisch aufstellen. Tatsächllich haben wir uns gar nicht zur Person Wendisch geäußert, sondern uns allein mit den von ihm verbreiteten Inhalten befasst. Weiter schrieb der Anwalt, uns dürfe klar sein, dass unsere Analysen in unserem 21-seitigen „Pamphlet“ und die Schlussfolgerung, es handele sich in weiten Teilen um ein rechtsextremes Werk, sei eine unwahre Tatsachenbehauptung und damit unzulässige Meinungsäußerung. Das trifft nicht zu. Wir haben unsere Argumente Punkt für Punkt mit Zitaten und Hintergrundquellen belegt und unsere abschließende Bewertung ausführlich begründet. Wir haben daher die Abmahnung über einen eigenen Anwalt zurückgewiesen und werden die Inhalte nicht von der Website nehmen.

Es irritiert uns, dass eine fachliche Auseinandersetzung und Diskussion nicht möglich scheint, sondern Herr Wendisch mit einem Anwalt auf eine andere Ebene geht, in dem er unsere Kritik am Buch als rechtswidrig benennt, was schlichtweg haltlos ist. Wir sind hingegen an einem sachlichen, demokratischen Diskurs interessiert. Die rechtsextremen Inhalte aus dem Buch möchten wir problematisieren, die von uns positiv bewerteten Artikel gerne als Grundlage eines Weiterdenkens verwenden. Daher stehen wir auch mit einzelnen Autor*innen und dem Hogrefe-Verlag in Kontakt.

Der Sammelband ist nicht mehr online erhältlich, weder beim Hogrefe-Verlag selbst noch bei Online-Shops. Der Verlag hat das Buch zurückgezogen. Vielleicht will er nun selbst die Inhalte des Buches noch einmal genauer prüfen. Schließlich ist Hogrefe ein wissenschaftlich renommierter Verlag, von dem man eigentlich erwarten sollte, sich für Wissenschaftlichkeit einzusetzen und von reaktionären Aussagen und Verbreitung von rechtem Gedankengut fernzuhalten. Es hätte ihn stutzig machen müssen, dass der Herausgeber selbst ein Drittel der Beiträge verfasste und sämtliche Schlagworte (NWO, die Globalisten, deep state etc.) einer intellektuell-rechtsextremen Agenda in seinen Texten untergebracht hat.

04.04.2022: Abmahnung

Wir erhalten von einem Anwalt im Auftrag des Herausgebers des Buches „Kritische Psychotherapie“, Wendisch, eine Abmahnung. In fast 30 Punkten (zum Teil wiederholend) werden wir der Schmähkritik, der unwahren Tatsachenbehauptungen und unzulässigen Meinungsäußerungen bezichtigt. Zusammen mit einem Anwalt, den wir uns jetzt auch nehmen mussten, weisen wir alle Punkte zurück. Wir denken: Unsere Analyse steht, sie ist fundiert ausgearbeitet, mit Zitaten und Quellen belegt und in ihren Gesamturteil – in weiten Teilen ein rechtsextremes Werk – begründet. Das muss sagbar sein. Meinungsfreiheit first!

08.03.2022: Analyse und Leser:innenbrief

Die Analyse des Buches „Kritische Psychotherapie“ von M. Wendisch (Hrsg.) ist fertig. Wir stellen sie als PDF-Download online. Gleichzeitig schicken wir eine Kurzfassung der Analyse als Leser:innenbrief an die Zeitschrift „PPP – Psychotherapie in Politik und Praxis. Das Magazin des Bundesverbandes der Vertragspsychotherapeuten e.V.“. Der Brief erscheint auf der Website des bvvp. Im Brief geht um v.a. eine Rezension des o.g. Buches, die im PPP-Magazin 04/2021 veröffentlicht wurde und die das Buch positiv bespricht. Wir halten das Buch dagegen für ein in weiten Teilen rechtsextremes Werk. Hier ist er, der…

Leser:innenbrief

„Kritische Psychotherapie“ – Aneignung der Kritik von rechtsaußen

Autor:innengruppe Kritische Psychotherapie Köln/Bonn

In PPP 04/2021 hat Norbert Bowe das Buch „Kritische Psychotherapie. Interdisziplinäre Analysen einer leidenden Gesellschaft“ von Martin Wendisch überwiegend positiv besprochen. Dies irritierte uns, da wir das Buch größtenteils als rechtsextremes Werk in aufklärerischem Gewand wahrnahmen. Um herauszufinden, warum die Eindrücke so weit auseinander lagen, entschlossen wir uns, das Buch durchzuarbeiten. Die ausführliche Analyse ist hier verfügbar: https://kritische-psychotherapie.de/kritik-von-rechtsaussen/.

Im Einklang mit Norbert Bowe finden wir eine Erweiterung psychotherapeutischer Diskurse um gesellschaftskritische Perspektiven wertvoll. Das Buch füllt hier eine Lücke, gibt es doch viel zu wenig gesellschaftskritische Reflexionen, zu wenig Kapitalismuskritik, zu wenig Kritik an der Ökonomisierung des psychosozialen Versorgungssystems etc. Doch dirigiert vom Herausgeber spannt das Buch ein Narrativ auf, das in der extremen Rechten beheimatet ist. Wendisch alleine hat 12 von 37 Beiträgen verfasst und es geschafft, auch zahlreiche lesenswerte Beiträge in ein rechtes Gesamtbild einzuflechten.

Wendisch operiert in seiner Gesellschaftsanalyse mit medizinischen Begriffen. Er erstellt eine „Diagnose“ und attestiert wahlweise der Gesellschaft oder den Individuen „krank“ oder „gesund“ zu sein. Ist für die Psychologie häufig kennzeichnend, Individuum und Gesellschaft voneinander zu separieren, so nivelliert Wendisch die Differenz: Die Individuen sind krank, weil die Gesellschaft krank ist. Sie können wieder gesunden, wenn auch die Gesellschaft gesundet – die „richtige“ Diagnose vorausgesetzt. Dabei ist für den Autor „krank“ das Maßlose, Globale, Digitale, Unmoralische, Konstruktivistische, sexuell Entgrenzte, Vielfältige, Entwurzelte: kurz: das „Unnatürliche“, und demgegenüber „gesund“ das Maßvolle, Lokale, Persönliche, Moralische, Wirkliche, Binärsexuelle, Ordentliche, Verwurzelte, kurz: das „Natürliche“. Die Darstellung von gesellschaftlichen Prozessen in organisch-medizinischen Begriffen und polare Zuordnung krank = unnatürlich = falsch und gesund = natürlich = richtig ist einschlägig für rechtsextreme Argumentationen. Auch im Nationalsozialismus war sie gängige Sprache. Dabei handelt es sich nicht um bloße Metaphern, die Wortwahl ist ernst gemeint.

Eine weitere typische rechtsextreme Argumentationsweise ist die Zurückführung komplexer Probleme auf einfache Ursachen und Schuldige, die hinter einem undurchschaubaren Zusammenhang stünden. Bei Wendisch sind es „das Geld“ und „die Politik“, die eine „doppelte Pathologie“ repräsentierten, also beide „krank“ seien. Das ursprüngliche „natürliche“ Geld sei vom autoritären Staat durch ein künstliches und damit „unnatürliches“ Zentralbankgeld ersetzt worden, um die „gesunde Marktwirtschaft“ in einen „kranken Finanzkapitalismus“ umzuwandeln. Das „Zwangsgeldsystem“ schaffe einen „deep state“ als Teil einer Neuen Weltordnung (NWO) – beides klassische rechtsextreme Verschwörungsnarrative. Der Neoliberalismus sei die dazugehörige Ideologie und Praxis, die von den „Staatsmedien“ als „NWO-Einheitsmeinung“ verbreitet werde. Nur einige Aufrechte würden die Propaganda noch durchschauen und ihr widersprechen, daraufhin jedoch mit hate speech und Vorwürfen des Antisemitismus verfolgt. Wendischs Mission sei, der „Täuschung“ eine neue „Aufklärung“ entgegenzusetzen. Auch dieses Schema ist Bestandteil von Verschwörungsideologien. Wendisch nennt personalisierte Akteure eher selten (Wolfgang Schäuble, Bill Gates) und verweist stattdessen bevorzugt auf institutionelle Akteure (EU, UN, WHO, deep state, die Globalisten) oder verwandelt Prozesse in handelnde Akteure (der Globalismus, das Geldsystem, der Neoliberalismus). Obwohl die Gegenüberstellung von „krankem Finanzkapitalismus“ (=bloße Finanzspekulation) und „gesundem Kapitalismus“(=reale Produktion) das von der NSDAP verwendete Bild vom „raffendem und schaffendem Kapital“ (raffend=jüdisch) evoziert, werden offen antisemitischen Muster vermieden. Tatsächlich werde dieser Vorwurf als „Waffe gegen Aufklärung“ eingesetzt. Als Ausweis seiner eigenen Unbelastetheit verweist Wendisch darauf, dass der von ihm goutierte Ökonom Ludwig von Mises Jude gewesen sei.

Die Assoziation von krank = unnatürlich und gesund = natürlich setzt sich auch im Bereich interpersonaler Beziehungen fort. Der Neoliberalismus mit dem kranken Geldsystem führe zur Zerstörung der kulturellen Identität und der Familie, zu „Entwurzelung“ und „deregulierter Sexualität“. Der „Genderismus“, so Wendischs Diktion, spiele dabei eine zentrale Rolle. Die Beschreibungen sind zum Teil hasserfüllt. Hier nur einige Beispiele: Der Genderismus unterstütze ein „generelles Dogma der Unfruchtbarkeit und der Bindungslosigkeit“ (294), sei „Teil einer aggressiven Minderheitenpolitik“ (295), sei „Kulturmarxismus“, stehe „auf dem Niveau von Fundamentalisten“ (295), schaffe ein „Klima mittelalterlicher Inquisition“ (296), befördere „eine reaktante Homophobie, die unter Jugendlichen wieder zunimmt“ (298), „ist eine infantile oder juvenile Ideologie“ (302) usw. Dem setzt Wendisch eine „gesunde“ Zweigeschlechtlichkeit entgegen, wobei „Mann und Frau“ eigene „Menschentypen“ seien – mit üblichen stereotypen „Eigenschaften“.

Im Bereich von Gesundheit, Psychologie und Psychotherapie finden sich die lesenswertesten Beiträge des Buches – geschrieben von eingeladenen Autor:innen, so von Bierhoff (Neoliberalisierung der Hochschulen), Lankau (Digitalisierung), Kriz (Evidenzbasierte Medikalisierung), Butterwegge (Armut und Prekarität), Klosterkötter (Prävention) und Zurhorst (Soziale Ungleichheit). Auch die Perspektive einer „Integrierten Medizin“ von Geigges/Leiß ist interessant. Wendischs „Integrierte Psychotherapie“ hat jedoch kaum mehr als den Namen mit dem medizinischen Konzept gemein. Im Kern geht für Wendisch darum, die „natürlichen“ Verhältnisse wiederherzustellen und dabei an der eigentlich „gesunden Basis“ der Menschen anzusetzen. Eklektisch werden theoretisch divergierende oder gar sich widersprechende Ansätze zusammengesetzt. Den Psychotherapeut:innen wird die Rolle der Heiler:innen einer „kranken“ Gesellschaft zugewiesen.

Es ist uns wichtig, die Aneignung von Kritik durch rechtsextreme Ansätze deutlich zurückzuweisen, gerade auch dort, wo sie nicht so einfach zu erkennen sind. Eine Kritische Psychotherapie sieht anders aus!